Ernst von Salomon - Die Geächteten.doc

(1683 KB) Pobierz

 

 

 

 

 

 

              Ernst von Salomon             

 

 

 

DIE GEÄCHTETEN

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DIE VERSPRENGTEN

 

 

«Blut und Erkenntnis müssen zusammen­fallen im Leben. Dann entsteht Geist.»

                           

FRANZ SCHAUWECKER

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wirre

 

Der Himmel über der Stadt schien mehr gerötet zu sein als sonst. Das Licht der einsamen Laternen prallte gegen den Novembernebel, färbte die feuchte, gesättigte Luft und machte das Gewölke schwer und mil­chig. Auf den Straßen war kaum ein Mensch zu sehen. Von fernher kam gequält und hallend der langhingezogene Ton einer Trompete. Das Geprassel von Trommeln schlug drohend gegen die Häuser-fronten, verfing sich in dunklen Höfen und machte die verschlossenen Fen­ster zittern.

    An der Hauptwache stand gedrängt eine Gruppe von einigen zwan­zig Schutzleuten. Sie hatten sehr bleiche, fast schwammige Gesichter, und die Hände in den weißen Handschuhen hingen schwer herunter. An ihren braunen Koppeln hingen klotzig die drei-eckigen Futterale un­gefüger Pistolen. Sie standen und warteten. Als meine Schritte über das Pflaster hallten, wandten sie die Köpfe und folgten mir mit den Augen, ohne daß sich sonst eine Miene ihrer Gesichter, ein Glied ihrer Körper regte.

    Einer von ihnen hatte das Band des Eisernen Kreuzes    im Knopfloch des blauen Uniformrockes. Er stand einige Schritte vor dem geballten Haufen der anderen und schien angespannt auf den Trompetenstoß zu lauschen. «Geht's los?» fragte ich ihn und stockte, und meine Stimme klang heiser. Der Schutzmann sah mich mit stumpfen Augen an. Er stand unbeweglich vor mir, wie ein Klotz; ich mußte den Kopf in den
Nacken senken, um ihn anzusehen. Er richtete seinen müden Blick auf die blanken Knöpfe meiner Uniform, sah mir dann erstaunt ins Gesicht, hob plötzlich die riesige Hand auf meine Schulter und sagte: «Gehn Sie man nach Hause und ziehen Sie Ihre Uniform aus.» Und mir, der ich gewohnt war, Befehlen zu gehorchen, schien dies wie ein Befehl: ich riß erschreckt die Hacken zusammen wie vor einem Offizier und sagte «Nein, nein — — — » und nach einer unsagbar verwirrten Weile wieder «nein» und ging dann, lief dann fast blind und stolpernd davon, durch ausgestorbene Straßen mit blicklosen Häusern, über weite Plätze, an deren Seiten nur vereinzelte Schatten huschten, durch die Anlagen, in denen das Laub auf dem Boden raschelte, daß ich vor dem Schritt meiner eigenen Füße zusammenfuhr. Durch verhängte Fenster drangen nur die schmalen Lichtlinien umhüllter Lampen. Die Läden hatten eiserne Rolläden mit kompakten Schlössern vor den weiten Flächen ihrer Schaufenster.  Fröstelnd hockte ich schließlich in meiner Stube, indes der Hall der unheimlichen Trompete durch die Straßen gellte.

    Mich peinigte die Lautlosigkeit meines Zimmers. Ich hatte auf dem Tische die Dinge aufgebaut, die mir den Halt geben sollten. Das Bild   meines Vaters, in Uniform, bei Kriegsausbruch aufgenommen, die Bilder von Freunden und Verwandten, die im Kriege gefallen waren, die Feldbinde, den krummen Husarensäbel, die Achselstücke, den franzö­sischen Stahlhelm, die durchschossene Brieftasche meines Bruders — das Blut war schon ganz dunkel und fleckig geworden — die Epauletten meines Großvaters mit den schweren, nun schwärzlichen Silbertrod­deln, ein Bündel Briefe aus dem Felde auf stockigem Papier — aber ich konnte es nicht mehr sehen, all das. Nein, ich konnte es nicht mehr se­hen. Dies alles war nicht mehr gültig. Dies alles gehörte zum Bestan­de jener Siege, da aus allen Fenstern die Fahnen hingen. Nun kamen keine Siege mehr, nun hatten die Fahnen ihren leuchtenden Sinn ver­loren. Nun, in diesem verworrenen Augenblick, da alles in Trümmer ging, war der Weg verschüttet, der mir vorgezeichnet war, stand ich unfaßlich vor dem Neuen, vor dem, was sich herandrängte, ohne Ge­stalt angenommen zu haben, ohne einen eindeutigen Anruf klingen zu lassen, ohne eine Gewißheit zwingend ins Hirn zu hämmern außer der, daß jene Welt, der ich verhaftet war, zu der ich mich nicht zu bekennen brauchte, da ich ihrer ein Teil, nun endgültig und unwiderruflich in den Staub sank und nie mehr, niemals wieder erstehen würde.

    Ich beugte mich aus dem Fenster meiner Dach-kammer. Unter mir in der Regenrinne klickerte das Wasser. Ich sah die drohenden schwarzen Schatten der Häuser, die nassen, zerflederten Bäume tief drunten auf dem glitzernden Asphalt. Von der Straße stieg ein fauliger Dunst her­auf, kletterte am grauen Stein, strömte in alle Ecken der kleinen Stube. Die Kerze ging aus. Ich warf im Dunkeln die Dinge, die auf dem Tische lagen, polternd in eine Schublade. Ich schlief die ganze Nacht nicht. Ich war der gefährlichen Stille ausgeliefert und wußte nur, daß ich zu be­stehen hatte, um jeden Preis zu bestehen, vor was es auch immer sein möge. Denn was sich nun aus der Wirre anbot, konnte nicht anders bezwungen werden als durch die Unbeirrbarkeit einer Haltung, um die ich von nun an zu ringen hatte.

    Als ich am Morgen in die Küche kam, sah ich, wie meine Mutter die weißen Achselklappen von meinem Mantel trennte. Ich konnte ihr nicht ins Gesicht sehen, ich trank die dünne braune Brühe und griff nach dem dunklen Brot, ich schnitt hastig zwei feuchte Scheiben und saß kauend und mit gesenkten Augen da. Dann nahm ich den Mantel, stieg in meine Kammer und nähte die Achselklappen wieder an. Ich ging leise, die Füße in den schweren, genagelten halbschäftigen Kadet­tenstiefeln vorsichtig hebend, die Stiege hinunter zum Vorplatz. Das Koppel schnallte ich über den Mantel, entgegen der Vorschrift, die den Kadetten das Unterschnallen gebot. Das Seiten-gewehr, lang, schmal, in eleganter Lederscheide, war blank und spitz, aber nicht geschlif­fen. Ich zog es heraus und beschaute es verlegen.

    Schließlich ging ich auf die Straße. Vor den Läden standen wie im­mer die Frauen in langen Reihen. Sie sprachen lebhaft miteinander. Die Hände über dem Bauch gefaltet, die Taschen und Körbe am Arm, sä­en sie mit rotgeränderten Augen aus grauem Gesicht hinter mir her. Viele Geschäftsleute hatten ihre Räume noch nicht geöffnet. Ein klei­ner Mann mit vergrämtem Gesicht stand auf hoher Leiter und schraub­te sorgfältig sein Hoflieferantenschild ab.

    In der inneren Stadt hörte ich plötzlich aus einer Hauptstraße, in die ich sofort einzubiegen beschloß, lautes Getöse. Ich fühlte, wie sehr ich bleich wurde, ich biß die Zähne zusammen und sagte mir: «Haltung!» und zischte mir nochmals zu: «Haltung!» und hörte Fetzen eines schrillen Gesanges, hörte Schreie aus gesammelten Kehlen, ahnte Wirre und Tumult. Eine riesige Fahne wurde einem langen Zuge vor­angetragen, und die Fahne war rot. Naß und trüb hing sie an langer Stange und schwebte wie ein blutiger Fleck über schnell zusammenge­strömter Menge. Ich blieb stehen und sah.

    Der Fahne nach wälzten sich müde Haufen, regellos durcheinander­stapfend. Weiber marschierten an der Spitze. Sie schoben sich mit brei­ten Röcken voran, die graue Haut der Gesichter hing in Falten über spitzen Knochen. Der Hunger schien sie ausgehöhlt zu haben. Sie san­gen aus ihren dunklen, zerfransten Umschlagetüchern heraus mit scheppernden Stimmen ein Lied, dessen Rhythmus nicht zu der zögern­den Schwere ihres Ganges paßte. Die Männer, alte und junge, Solda­ten und Arbeiter und viele Kleinbürger dazwischen, schritten mit stumpfen, zermürbten Gesichtern, in denen ein Schimmer dumpfer Entschlossenheit stand, und nichts weiter als das, fielen immer wieder in Gleichschritt und bemühten sich dann, wie ertappt, die Füße enger oder weiter zu setzen. Viele trugen ihr Blechkännchen mit sich, und hinter der nassen, vom Regen mit dunklen Flecken getünchten roten Fahne beulten sich Regenschirme über dem Zug.

     So zogen sie, die Streiter der Revolution. Aus diesem schwärzlichen Gewusel da sollte also die glühende Flamme springen, sollte der Traum von Blut und Barrikaden sich verwirklichen? Unmöglich, vor denen da zu kapitulieren. Hohn über ihren Anspruch, der keinen Stolz kennt, keine Siegessicherheit, keine bändigenden Wellen. Gelächter über ihre Drohung, denn diese da marschierten aus Hunger, aus Müdigkeit, aus Neid, und unter diesen Zeichen hat noch niemand gesiegt. Trotz über die Gefahr, denn sie trug ein gestaltloses Antlitz, das Gesicht der Masse, die sich breiig heranwälzt, bereit, alles in ihren seimigen Strudel aufzunehmen, was sich nicht widersetzt.

     Ich aber wollte nicht dem Strudel verfallen. Ich steifte mich und dachte «Kanaille» und «Pack» und «Mob» und «Pöbel» und kniff die Augen zusammen und besah diese dumpfen, ausgemergelten Gestalten; wie Ratten, dachte ich, die den Staub der Gosse auf ihren Rücken gen, sind sie, trippelnd und grau mit kleinen, rotgeränderten Augen.

Auf  einmal aber waren Matrosen da.             

    Matrosen waren da mit riesigen roten Schärpen; Gewehre hatten sie in den Händen und lachende Gesichter unter den bebänderten Mützen und breite, elegante, flotte Hosen um lässig gesetzte Beine. «Unsere blauen Jungens!» schoß es mir durch den Kopf, und ich dachte, jetzt müsse mir der Ekel in den Hals steigen, aber es war nicht der Ekel, es war Angst. Die hatten die Revolution gemacht, diese jungen Kerls mit den entschlossenen Gesichtern, die rüden Burschen, die da Mädels untergehakt hatten und sangen und lachten und johlten und dahinzogen, breit und selbstbewußt mit nackten Hälsen und flatternden Schlipsen. Ein Auto brauste heran, Matrosen standen auf den Trittbrettern, hockten auf dem Kühler, und das rote Tuch flatterte, bauschte sich wie ein Fanal. Und einige waren dabei, die blickten frech, die schrien heiser, die hatten gedrehte Locken in der Stirn, den...

Zgłoś jeśli naruszono regulamin